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Das Stimmrecht war mir nie egal

«Wer das Stimmrecht will, soll sich einbürgern lassen». Was vernünftig klingt, ist für uns Secondos und Secondas im mittleren Alter eine Beleidigung: Wir müssten in Basel gut 2000 Franken zahlen – in Riehen fast 3000 – für das Recht, zwei Jahre später in lokalen und kantonalen Fragen unsere Stimme abgeben zu können. Aber immerhin werden wir plötzlich gefragt, wie wir das Stimmrecht sehen. Vorweg: Es bedeutet uns die Welt, aber kaufen wollen wir es nicht. Warum? 

Firefly Die Stimmabgabe an einer Urne in Basel 68248

Ich wurde neulich vom SRF und von der BaZ angefragt, um zu erzählen, wie ich als in der Schweiz geborener Ausländer zum Ausländerstimmrecht im Kanton Basel-Stadt stehe. Es war mir eine Ehre, meine Gedanken zu teilen. Zum ersten Mal wurde ich konkret und persönlich ausserhalb meines privaten oder beruflichen Umfelds gefragt, warum ich mich nicht eingebürgert habe. Meine Stimme aufgeteilt in zwei Schnipsel eines Radio-Beitrags (nicht mehr online abrufbar). Und ein Artikel in der BaZ folgt in diesen Tagen. Ich stand sogar vor der Kamera, aber angesehen habe ich mir das noch nicht.

Standardfrage: Warum haben Sie sich nie eingebürgert? Ich erzählte den Medien, dass noch in den 80ern und bis in die 90er-Jahre die Einbürgerungspraxis von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich und meistens unfair war. Dass sich eine fünfköpfige Italiener-Familie damals in Balsthal, meinem Heimatort, für den Schnäpplipreis von über 20'000 Franken einbürgern liess – oder eben nicht, ich weiss es nicht mehr.

Gut 2000 Franken und lange Fristen

Balsthal, mein Heimatort. Nicht Italien, sondern Balsthal. Das Dorf, das ich 2003 als recht mittelloser Ex-Student und Freiberufler verliess, um nach Solothurn zu ziehen. Zwar hatte der Kanton die Kosten für die Einbürgerung massiv nach unten gedrückt, auf läppische 2900 Franken. Aber dann griff die Vorgabe der Gemeinde, dass ich zunächst zehn Jahre lang in Solothurn wohnen musste, bevor ich überhaupt die Einbürgerung beantragen konnte. Und ich wollte mich eines Tages in Solothurn einbürgern lassen. Als ich die zehn Jahre Frist abgesessen hatte, war ich jedoch daran, von meinem zweiten Studium Darlehen im fünfstelligen Bereich zurückzuzahlen. Und ich war 38 Jahre alt.

Es ist übrigens immer noch so, dass man bei einem Umzug als Ausländer eine gewisse Mindestfrist absitzen, oder besser gesagt, abwohnen muss, bevor man sich einbürgern lassen kann. In Basel-Stadt sind es zwei Jahre. Das klingt fortschrittlich und halbwegs vernünftig. Und mir wurde gesagt: Wenn du nach Basel ziehst, schickt dir die Einwohnergemeinde zwei Jahre nach deiner Anmeldung einen Brief, um dich einzuladen, dich einbürgern zu lassen.

Ich hatte vor, diese Einladung dankend anzunehmen, wenn ich sie erhalte. Es wäre zum ersten Mal in meinem Leben ein Signal von höchster demokratischer Stelle an mich gewesen, dass ich eigentlich gleichwertig bin, also sei es nur richtig, dass ich den Schweizer Pass beantrage, damit ich auch abstimmen kann.

Das wäre auch der einzige praktische Vorteil, den ich vom Besitz des Schweizer Passes gewänne. Die Niederlassungsbewilligung habe ich ja, die ist nicht in Gefahr. Der politische Wert meiner Stimme, der ist hingegen beinahe gleich Null. Deswegen zahlst du nicht 2000 Franken, wenn du vernünftig bist und einen normalen oder gar unterdurchschnittlichen Lohn verdienst. Ganz anders aber ist der emotionale Wert, der mit dem Stimmrecht verbunden ist: Er bedeutet die Anerkennung, dass ich das gleiche Recht wie den Menschen mit Schweizer Pass erhalten sollte, an der schweizerischsten aller Institutionen, der direkten Demokratie, teilhaben zu können. Du bist auch einer von uns, also lass uns doch reden.

Ein einziges positives Signal hätte gereicht. Es kam nie.

Auf dieser emotionalen Ebene habe ich die letzten 30 Jahre jedoch immer nur die eine Aussage gehört: Nein. Das war das Signal der 90-er und 2000-er an uns Secondos. Die dritte Generation (wie nennt man sie denn, Terzos?) hatte Glück: Ihr dürft euch erleichtert einbürgern lassen. Wir Secondos und Secondas, wir sind drittklassig, wir zahlen dreifach. 

Es ist nicht so, dass ich nicht Schweizer werden wollte. Es ist so, dass ich nie das Gefühl hatte, dass du willst, dass ich Schweizer werde. Du meinst, das ist nicht dein Fehler? Einverstanden. Aber dann ist es auch nicht mein Fehler, wenn ich das Nicht-Angebot nicht angenommen habe. 

Natürlich weiss ich als ehemaliger Politik-Student, dass dieses Einbürgerungs-Paradigma einer Zeit entstammt, in der die Schweiz ausländische Arbeitskräfte als Saisonniers ins Land holte, damit sie den Schweizern (nicht den Schweizerinnen, weil die damals nichts zu sagen hatten) die Bergstrassen, Tunnel und Brücken bauen, das Stahl giessen, den Stoff nähen oder die Gäste bedienen. Und dann nach getaner Arbeit ab in die Heimat mit ihnen. In der Demokratietheorie nennt sich dieses Paradigma «Nicht-Integrations-Politik», deren Erbe heute im Diskurs über die Einbürgerung beinahe unerkannt aber doch hartnäckig überlebt und zu diesem Selbstverständnis geführt hat, dass der Ausländer grundsätzlich nicht fähig ist, Schweizer zu sein – vielleicht nicht einmal dann, wenn er das möchte. Er muss ja ein kleines Vermögen dafür zahlen wollen.

Wir Ausländerkinder sollten also im Prinzip gar nicht mitreden. Ausser, wir blechen einen Betrag, der so richtig weh tut. Für Leute wie mich ist das herabsetzend – jedenfalls alles andere als eine faire, ehrliche und aufrichtige Einladung an uns Secondos, uns einzubürgern.

Und überhaupt: Was kann mir eigentlich meine Stimme wert sein, wenn ich sie mir erkaufen kann? Sollte der richtige Massstab nicht eine ehrliche Bewertung sein, ob jemand in der Schweiz – in diesem Fall sogar einfach nur in Basel – als Mensch und Bürger zuhause ist? Das Stimmrecht in Basel sollte man sich verdienen, und das habe ich genauso getan wie manche zugezogene Schweizer Staatsangehörige oder Ausländer, deren Glück es war, dass sie sich zu einem einigermassen fairen Preis einbürgern konnten. Ich konnte das nie.

Ich weiss nicht, welche Kriterien die richtigen sind, um einem Menschen, der in Basel lebt, das Stimmrecht zuzusprechen. Ich weiss einfach nur, dass es falsch ist, einem Menschen pauschal die Stimmabgabe zu verbieten, ohne ihn fair zu beurteilen. 

Ich will nicht sagen, dass alle Secondos so sind wie ich, hier geboren und hier zuhause, oder dass ich mehr Basler bin als die Tessinerin, die frisch hierher gezogen ist. Ich will einfach sagen, dass es falsch ist, uns Secondos mittleren Alters, die noch die schwierigen Einbürgerungsbedingungen ausschlagen mussten, pauschal die Stimme zu verbieten – und ich weiss, dass ihr Schweizer aus eurer Perspektive das anders wahrnehmt. Ihr habt uns ohne böse Absicht vergessen und vergrault. Die Mehrheit der Schweizer Stimmbevölkerung hat uns ausgeschlossen, wieder und wieder. Es schmerzt in der Seele, dass man uns de facto das Recht abspricht, ausgerechnet unseren unbestrittenen Patriotismus, dem Stolz auf die Institutionen der Schweizer Demokratie, zu ehren und zu leben. Das ist unsere Verletzung. 

Darum wäre es einfach richtig, wenn für einmal der Staat, in diesem Fall die Bevölkerung des Kantons Basel-Stadt, Menschen wie mir sagt: Du bist Basler, deine Stimme als Basler soll dir niemand verbieten. 

Immerhin haben mich das SRF und die BaZ um meine Stimme gefragt. Das war schön. Es fühlte sich gut an. 

Und der Brief, den ich genannt habe? Die Einladung, mich einzubürgern? Den habe ich nie erhalten, und ich habe auch nie mehr danach gefragt. Aber es war mir nie egal.