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Niemand hat das Recht auf öffentliche Verleumdung

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Der Aufschrei mancher Linken und Antirassisten wegen der Karikatur des ersten Nebelspalters unter der Leitung des stramm rechtsbürgerlichen Verlegers Markus Somm ist falsch. Wenn die Rassismuskeule wegen des Absenders kommt, dann muss man auch darüber reden, was das über die Absender der Kritik aussagt.

Das hier ist nicht ein Plädoyer für Satire oder Meinungsfreiheit. Es ist auch nicht eine Schutznahme rassistischen Humors, oder eine Entschuldigung dafür. Das hier ist ein Manifest meiner Sorge für die fehlende intellektuelle Ehrlichkeit jener, die der naiven Versuchung nicht widerstehen, den Nebelspalter nur wegen seines neuen Verlegers beim ersten Verdacht zu steinigen.

Die kritisierte Karikatur sagt genau das Gegenteil dessen aus, was manche Kritiker ihr zugeschrieben haben. Es ist meiner Ansicht nach wirklich nicht schwer zu erkennen, dass der Autor der Karikatur die Perversion des weissen Europa mit seinem vollen Magen kritisiert, wie es sich den Flüchtlingsströmen verschliesst. Es ist sogar eine sehr gute Karikatur, die genau die humanistischen und west-kritischen Werte und Ansichten verteidigt, die uns Linke wichtig sind: Sie zeigt überspitzt die rassistisch untermalte, widerliche Ignoranz fetter Weisser gegenüber der Flüchtlingskrise. Ein Schlag in den Bauch. Grossartige Karikatur.

Ich weiss nicht, was einen Knackeboul reitet, wenn er twittert, dass jetzt Nazis den Nebelspalter produzieren. Das darf er denken, im Privaten äussern, und auch glauben. Aber wenn er Somm und Kollegen öffentlich als Nazis bezeichnet, soll er seine Behauptung belegen. Oder strafrechtlich verfolgt werden. Die Karikatur liefert diesen Beleg ganz sicher nicht. 

Ich möchte die anderen im Tages-Anzeiger-Artikel zitierten grossen Kritiker der Karikatur nicht abschliessend in den gleichen Topf werfen wie Knackeboul. Weder Philipp Sarasin noch Fabian Eberhard oder Daniel Binswanger. Warum: In dubio pro reo. Was nämlich rassistisch scheint und allemal eine ernsthafte Analyse wert ist, ist die Titelgebung zum Nebelspalter-Artikel, der diese Karikatur als Aufhänger verwendet hat: «Die Banane fällt aus der Schale». Vielleicht bezogen sie sich auf den Titel. Die Frage ist, was der Titel aussagen will. Da ich nicht Nebelspalter-Abonnent bin und den ganzen Beitrag nicht einsehen kann, kann ich nicht beurteilen, ob der Titel rassistisch ist, oder eben, so wie die Karikatur selbst, Rassismus satirisch denunziert. Auch hier: In dubio pro reo. 

Was ich weiss, ist, dass solche Titel und solche Karikaturen im gleichen Stil und noch in diesen Jahren auch in linken Satirepublikationen erschienen – genau mit dem Zweck, die Perversion der rassistischen und diskriminierenden Weltanschauungen Europas offenzulegen. Wenn Charlie Hebdo solches abdruckt, oder Titanic, dann zücken die Linksintellektuellen das Schwert, um die Freiheit der Kunst und Satire zu verteidigen. Ist der Absender ungeliebt und politisch woanders, dann dient das gleiche Schwert zum Angriff auf Kunst und Satire.

Übrigens: Kunst gehört nicht den Linken allein. 

In letzter Zeit wurde Lisa Eckhart in die Antisemiten-Ecke gestellt, obwohl sie Antisemitismus persifliert, auf höchst brisante Art, ja, aber bitte. Vor rund zehn Jahren wurde einer Band in Österreich vom grünen Wiener Kultursprecher Klaus Werner-Lobo ein Auftritt untersagt wegen Frauenfeindlichkeit. Das Gegenteil war richtig: Die Band persiflierte und denunzierte die Ignoranz und Frauenfeindlichkeit. Sie war genau das Gegenteil von dem, was Werner-Lobo sagte. Wenn ein Mensch ein Verständnisproblem für Persiflage oder Satire hat, dann muss dieser Mensch an seinem Problem arbeiten. Kunstschaffende schrien übrigens gegen Werner-Lobos Zensur auf, auch wenn sie die Band doof fanden. Seine war eine billige Polemik, bestenfalls ein schwerer Irrtum – genau so wie Knackebouls Tweet – mit dessen Ansichten ich ansonsten einig bin, und ihn als Künstler ganz in Ordnung finde.

Bezeichnenderweise war der Urheber der Karikatur einer, der in linken Publikationen beliebt ist und auch dort zu verorten ist. Ich würde sagen: Es ist wirklich unschwer zu erkennen im Kontext dieser Karikatur, wie ich hier weiter oben beschrieben habe. Nun: Mancher Humor ist nicht jedermanns Sache, genauso wie Meinungen, aber Verleumdung ist kein Menschenrecht

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Unser Zeitgeist mag der sein, dass man sich über Dinge stört, die man längst hätte hinterfragen müssen. Patriarchat, Gewalt und sexuelle Belästigung an Frauen, Rassismus, globale Gerechtigkeit, Konsum, Profitgier, Umweltverschmutzung, Verschwörungsmythen und noch vieles mehr sind schlimme Dinge, die wir zum Glück in dieser spannenden Zeit des 21. Jahrhunderts gründlich hinterfragen. Aber diese Jahre sind auch der Zeitgeist der moralischen Überheblichkeit von offenbar nicht ganz stilsicheren aber vorlauten Linksintellektuellen, die bei jedem Verdacht gleich eine moralische Unterlegenheit der Rechten denunzieren. Diese Haltung bremst nicht den Rassismus, sondern raffinierte politische Kunst, und insbesondere unsere intellektuelle Ehrlichkeit, unser Pluralismus, unsere Freiheit der Kunst, der Kritik und der Meinungsäusserung: die Eckwerte unserer Demokratie.

Und nochmal: Verleumdung ist kein Eckwert unserer Demokratie. Du meinst, Somm als Nazi zu bezeichnen, oder diese Karikatur als Schande, ist eine freie Meinungsäusserung? Dann stelle sicher, dass sich diese Meinungsäusserung auf Fakten basiert. Ich sehe die Faktengrundlage nicht, um auf diese Meinung zu kommen. Irren ist menschlich, ja, aber bitte etwas mehr Anstand, Sorgfalt und Fairness. Somm war in der Vergangenheit zwar auch nicht immer aufrichtig und fair, aber deswegen müssen wir ihn darin nicht überbieten – ganz im Gegenteil.

Umso mehr ärgert mich, dass sich jetzt Somm – völlig zurecht – über dieses Desaster freuen darf. Er leistet es sich sogar, dieser linken Hetze eine völlig unpolitische und durchaus korrekte Aussage entgegenzusetzen, ohne Schlamm zu werfen oder mit dem Finger zu zeigen: Wer in dieser Kunst relevant sein will, muss heute beim Nebelspalter anheuern. Nun, ich verachte viele Aussagen dieses Publizisten, wohl verstanden, und bedaure, dass eine Institution wie der Nebelspalter in seinen Händen liegt. Aber in dieser Gelegenheit hat mich ganz sicher nicht Markus Somm enttäuscht, sondern die Absender dieser Hetze. 

Selbstverständlich darf man sich über die Karikatur stören. Man darf sich auch darüber stören, dass Kaya Yanar sich über Schweizer lustig machte (und zwar oft), Lou Reed scheinbar verherrlichend Heroin besang, oder Bruce Springsteen über Pädophilie. Weil dich diese Themen stören, auch wenn sie nur erwähnt werden. Aber im Grund ist nur eine Aussage à priori richtig: Du hast ein Problem mit deiner Empfindlichkeit. Sag, dass es dich stört, aber verurteile die Leute nicht. 

Und irgendwo in Europa, in kleinen Häusern, zwischen immergrünen Wäldern und weichen Ackerwiesen gelegen, leben genau solche Menschen wie die zwei alten widerlichen Weissen im Pool. Manche dieser gedankenlosen Menschen werden aufschreien, dass die Linken immer gleich die Rassismuskeule hervorholen. In manchen Fällen aber völlig zurecht.