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Ist die Basler Linke wirklich so bürgerlich geworden?

Ja, es tut weh, dass Basel-Stadt im Schweizer Parlament untervertreten ist (nur ein Ständerat) und 2023 einen seiner Nationalratssitze verliert. Da ächzt natürlich der wichtigste Nordwestschweizer Wirtschaftsstandort. Dass ausgerechnet ein Sozialdemokrat für den Einfluss der Wirtschaft im Parlament einsteht, während ein Liberaler eine Gegenposition einnimmt, zeigt den Widerspruch auf, den Basel auszeichnet: Eine SP, die gern mit bürgerlichen Konzepten kokettiert. Geht es um schlichte Machterhaltung, wäre das legitim, und was bedeutet das?

Der Beitrag vom 8. September 2021 in der BZ thematisiert den Verlust eines Nationalratssitzes des Kantons Basel-Stadt an den nächsten Eidgenössichen Wahlen (2023). Das ist für die Region tatsächlich ein herber Verlust. Mir blutet das Herz. Wo immer ich wohne: Ich möchte natürlich, dass mein Kanton möglichst viele Nationalrät:innen wählen kann. Das ist toll und gibt dir das Gefühl, dass dein Kanton auch was zu sagen hat. Dann kommt noch die berühmte Verlustaversion ins Spiel: Ein verlorener Sitz fühlt sich genauso krass an wie drei gewonnene. 

Dass wir den Sitz an den Kanton Zürich verlieren, macht die Tragödie doppelt schlimm. Eigentlich müsste der Kanton Zürich sagen: Wir haben schon so viele Sitze im Nationalrat. Was wollen wir mit noch einem zusätzlichen Sitz schon. Der macht in unserem Kanton 3% aus (36 statt 35 Sitze), während euer Verlust innerhalb eurer Kantonsdelegation im Nationalrat 20% (4 statt 5) beträgt.

Dann wird die Stärkung des Wirtschaftsstandorts zulasten der Innerschweizer Menschen plötzlich eine SP-Priorität

Beat Jans, Regierungspräsident des Stadtkantons, kann gar nicht genug betonen, dass die Wirtschaftsmacht seines Kantons so in Bundesbern viel zu wenig repräsentiert wird. Basel-Stadt exportiere Waren im Wert von 67 Miliarden Franken jährlich – dreimal mehr als die ganze Region Zürich. Dann sagt er: «Das Missverhältnis zwischen Wirtschaftskraft und politischer Repräsentation wird immer grösser.» 

Beat Jans, es ist dein eigenes Missverhältnis zwischen Wirtschaftskraft und politischer Repräsentation, das immer grösser wird. Es ist zu gross.

Dieses Missverhältnis in seinem Sinn wird noch verschärft dadurch, dass Basel-Stadt als Halbkanton nur einen Sitz im Ständerat besetzen kann (und da bin ich sicher bei ihm) . Dass auch noch Basel-Land vier Jahre später, 2027, damit rechnen muss, einen Nationalratssitz zu verlieren, und ja selber auch nur einen Ständerat stellt, macht diese scheinbare Missräpresentation noch ungerechter.

Was heisst Repräsentation, was heisst Demokratie?

Ich bin durch und durch Verfechter der Repräsentation. Auch kann ich mir vorstellen, dass die beiden Halbkantone zusammen durch Mathematik und korrekter Rundung wohl kaum 2023 zwei Sitze verlieren würden, wären sie zusammen zu einem ganzen Kanton vereinigt (ja, die Fusionsgelüste beider Basel kommen vielleicht wieder auf). Aber ich bin auch Verfechter der Schweizer Institutionen und, vor allen Dingen, Verfechter der Demokratie.

Und in der Demokratie heisst es: Es zählt die Stimme der Menschen. Jeder Mensch (mit Stimm- und Wahlrecht) hat genau eine Stimme. In den USA, deren Demokratie (vielleicht weisst du das ja auch) als Modell für die Schweizer Demokratie bei ihrer Gründung 1848 diente, hiess es später auch klipp und klar: «One man, one vote».

Es heisst, früher hiess es sogar «one man, one gun, one vote». Das mit der Waffe, das ist so eine Sache, ganz klar, da müssen wir gar nicht darüber diskutieren. Das mit dem Mann, das könnte man noch relativieren und sagen, «man» heisst ja auch Mensch. Aber die USA hatten kein Frauenstimmrecht Ende 19. Jahrhundert, als der Satz ikonisch die Demokratie der USA zusammenfasste.

Zehn Milliarden Exporteinnahmen = ein Nationalratssitz?

Aber «ein Mensch, eine Stimme», das klingt für mich richtiger als «zehn Milliarden Franken, eine Stimme». Es ist nicht das Geld, das abstimmen geht, sondern der Mensch. Wenn dann ein Sozialdemokrat plötzlich davon schwadroniert, die Wirtschaftsstärke sei bei der Zahl der Sitze zu berücksichtigen, dann fallen mir die Arme ab. Also steckt die Basler SP doch in der Jackentasche der Multis?

Ja was glaubst du: Nur weil die Urner und Nidwaldner nicht in der Hand der Pharmakonzerne sind, sollten sie in Bern weniger zu sagen haben? Die Stimme einer Urnerin ist mir genau gleich viel Wert wie deine oder die von Daniel Vasella: Ein Mensch, eine Stimme. Und das ist richtig so. 

Abgesehen davon ist die Lösung des Problems der Untervertretung beider Basel tricky. Die einfachste wäre: Fusioniert die beiden Halbkantone. Aber davon ist im Artikel keine Rede. Sondern: Machen wir doch aus den Halbkantonen ganze Kantone, das macht den Ständerat um sechs Sitze grösser: Statt 46 sind es dann 52 Ständeratssitze. Aber die Romandie stellt sich quer, weil alle sechs Halbkantone ja in der Deutschschweiz liegen. Da wird die konservative kleine Kammer sogar noch viel Deutschschweiz-lastiger. Ein guter Einwand. 

Dann kommt der Vorschlag von Eva Herzog: Nehmt doch manchen kleinen Kantonen einen Sitz weg. Naja, so falsch ist der Vorschlag im Prinzip auch nicht. Aber sicher auch nicht richtig. Es ist der Ständerat. Die Stände (Kantone) zählen. Der Ständerat soll sich der (Basler) Wirtschaft beugen? Zürich, meine Lieben, damit das auch gesagt ist, hat auch gleich viele Ständeräte wie Uri. Und das ist gut so.

Es steckt reine Machterhaltung dahinter

Dann denke ich darüber nach, wie er auf solch einen Unsinn kommt, dass Sozialdemokrat Beat Jans die Wirtschaft im Bundeshaus stärker repräsentiert sehen will. Ja was glaubst du: Welche Partei wird ihren Basler Sitz im Nationalrat wahrscheinlich verlieren? Du kannst dreimal SP raten, und du erfährst, ob du richtig liegst, wenn im Herbst 2023 das Licht angeht.

Also Machterhaltung, nicht Kapitalismus. Diese Machterhaltung würde sich völlig relativieren, wenn der Basler SP-Nationalratssitz, der 2023 verloren gehen könnte, ein Zürcher SP-Nationalratssitz wird. Davon spricht auch noch niemand – im besagten BZ-Artikel zumindest nicht.

Aber geht das die SP an, wirtschaftliche Kriterien in Sachen Demokratie und Repräsentation höher zu gewichten als menschliche und gesellschaftliche? In guter deutscher Tradition – da scheint Basel dem nördlichen Nachbarn politisch viel näher als woanders – opfern die (eigentlich) linken Parteien, die partout an der Macht bleiben wollen, gern ihre grundlegenden Werte. Man holt sich die Zustimmung von Wechselwähler:innen, die sich spätestens bei den nächsten Wahlen auszahlen kann.

SPD-Kanzler Schröder baute den Sozialstaat ab, während sein Verteidigungsminister, der grüne Pazifist Joschka Fischer, kriegerische Militäreinsätze auf dem Balkan zu rechtfertigen versuchte, deren völkerrechtliche Richtigkeit heftig umstritten war. In der Politikwissenschaft gibt es tatsächlich das Diskussionsthema, dass linke Koalitionen häufig dazu verdammt sind, eine Politik der Gegenseite durchzubringen. Eben: Unter anderem den Sozialstaat abbauen, Umweltschutz vernachlässigen, und die Wirtschaft gegenüber den Menschen zu priorisieren.

Es ist trotzdem Verrat an die Wählerschaft

Ja, wofür haben die Leute denn SP oder linke Parteien gewählt? Und: Ist 2021 nicht schon ein bisschen früh für Wahlkampf, Beat Jans? Ist dir die Wirtschaft in Basel-Stadt wirklich wichtiger als die Menschen in der Innerschweiz?

Es gibt drei Kriterien, nach denen eine Partei ihren Erfolg misst. Ämter, politische Ideen und Stimmen der Wähler:innen. Es gibt aber nur ein Kriterium davon, das aus Sicht der Demokratie wirklich zählt: Politische Ideen. Denn die Menschen wählen eine Politik. Wenn die Parteien jedoch mehr an Ämter (Regierungspräsidium, Nationalratssitz) interessiert sind und nur Stimmen sichern wollen, verraten sie womöglich die eigenen Werte, und damit die Stimmen ihrer Wähler:innen. Ergo: Das nächste Mal gibt es dann noch weniger Stimmen, und deshalb noch wenige Ämter.

Für mich ist es nie legitim, seine Werte zu verraten. Konsens, Diskurs, Wettbewerb der Ideen – das alles macht eine gesunde Demokratie aus. Aber Verrat der eigenen Werte ist nie legitim.